Wettbewerb 2.0 ///

Second Life schrumpft – Die virtuelle Stadt neu denken /// 





Die virtuelle Welt "Second Life" leer und verlassen

Im Sommer 2007 berichtete die Presse über Schrumpfungsprozsse im Second Life: „Hula-Hula hilft auch nicht mehr: Die virtuelle Welt von Second Life entvölkert sich.“ (FAZ vom 9. August 2007). Und Unternehmen schließen ihre Läden. „Verlassene Unternehmens-Inseln, leere Programmtafeln und Auslagen prägten das Bild, wie die ‚Los Angeles Times’ berichtet. Der Computerhersteller Dell gab seine Insel auf, ebenso die Hotelkette Starwood.“ (Berliner Morgenpost 30.7.2007) . Eine der größten Banken des vermeintlichen Internet-Paradieses, Ginko Financial, wurde  zahlungsunfähig: Geschlossene Schalter und „Avantare, die bis zuletzt und vergeblich vor den virtuellen Geldautomaten ausgeharrt haben.“ (Berliner Zeitung 21.8.2007) „Das Horrorszenario wird ausgerechnet in der virtuellen Spiele-Welt Wirklichkeit.“

Aus diesem Anlass und in Ergänzung zum Wettbewerb „Reinventing the City – Die Stadt Neu denken“ von 2004/ 2005  lobte das Projekt Schrumpfende Städte in Kooperation mit der Architekturzeitschrift archplus den Wettbewerb „Reinventing the Virtual City – Die virtuelle Stadt neu denken“ im Herbst 2007 aus. In der Ausschreibung hieß es:

„Ziel des Wettbewerbs ist es, neue Handlungsansätze zu finden, um die Schrumpfung von Second Life positiv zu gestalten. Der Wandel von Second Life bietet die Chance, neue urbane Strategien, künstlerische Konzepte und räumliche Netzwerke zu verwirklichen; zugleich stellt sie bisherige kulturelle Werte, Denk- und Handlungsweisen in Frage: Kann Datenmüll wiederverwertet werden? Können aufgegebene Grundstücke in Second Life gelöscht werden? Oder mit digitaler Landwirtschaft ein third life erleben? Sollte die virtuelle Welt neu formatiert werden? Oder die verbliebenen Avatare geklont? Was passiert, wenn Linden Lab Konkurs anmeldet? Wohin migrieren die ehemaligen User von Second Life?“

43 Arbeiten aus 7 Ländern wurden eingereicht. Ende November 2007 prämierte die Jury (Friedrich von Borries, Architekt (Raumtaktik); Hendrik Gackstatter, Kommunikationsdesigner (e27); Sven Stillich, Autor; Philipp Oswalt (Kurator Schrumpfende Städte) sechs Arbeiten.

Die prämierten Beiträge werden in einer der kommenden Ausgaben der archplus ausführlich vorgestellt. Derzeit sind sie außerdem auch im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/M. in der Ausstellung „Schrumpfende Städte – Neun Stadtideen“ (noch bis 17. Februar 2008) zu sehen.


Die Jury-Urteile /// 







Die prämierten Wettbewerbsbeiträge: Semantische Tektonik, Life at the Top, Over/Underground, Iconicity, Secontropa und Ville Spatiale

1. Preis: SEMANTISCHE TEKTONIK 
von Florian Schmidt (D)

Aufbauend auf einer präzisen Analyse der Schwächen von Second Life wird eine radikale Gedankenskizze zu einer flexiblen Neuorganisation (und -programmierung) der Inselstruktur von Second Life nach Inhalten und Themen vorgelegt, erinnernd an das „Page Ranking“ von Google, kombiniert mit einer Verschlagwortung durch die Bewohner. Das Konzept basiert auf einem tiefen Verständnis für die Funktionsweise der virtuellen Welt, das unter den Einreichungen zu dem Wettbewerb einzigartig ist. Hinterfragungswürdig erscheint der Jury hingegen, dass die  vorgeschlagene Neuorganisation nach Themengebieten zwar den „leeren und toten“ Raum von Second Life mindert, aber potenziell auch zu Monokulturen und Monotonie führen kann.

Das gesamt Beitrag von Florian Schmidt 

Ein 2. Preis: LIFE AT THE TOP
von Richard Brown (GB)

Dieser Vorschlag will die räumliche Organisation von Second Life durch neue vertikale Raumstrukturen ergänzen, um – ähnlich der Intention des ersten Preisträgers – besonders nachgefragten Inhalten eine exponierte räumliche Platzierung zu geben. Dynamische besiedelte Turmstrukturen mit beliebten „guten“ Inhalten oben und wenig frequentierten „schlechten“ Inhalten unten bilden eine hierarchische Navigationsstruktur. Damit wird eine neue Art von Wettbewerb in „Second Life“ etabliert und die Metapher des „nach oben Kommens / Wollens“ noch dazu für jeden sichtbar gemacht – was natürlich auch kritisch gesehen werden kann. Nicht geklärt ist, wie der Auf-/Ab-Mechanismus funktioniert und ob die oberen Schichten den unteren (zum Beispiel) das Licht nehmen. Fragwürdig ist auch die Bewertung in Gut und Schlecht, wobei zudem auch das die Basis der Türme umgebende Territorium – der ebenerdige Rest – per se als „schlecht“ definiert wird.

  
Ein 2. Preis: OVER/UNDERGROUND
von Matthew Pilling (GB)

Das Projekt will Second Life nicht neu strukturieren oder gar dessen Freiheiten einschränken, um Menschen mit für sie interessanten Inhalten zusammenzubringen, sondern ein neues Layer einziehen, auf dem man „wie auf Schienen“ durch die virtuelle Welt navigieren kann. Optisch ist das Konzept sehr ansprechend abstrahiert umgesetzt. Ein bestechend einfacher Ansatz für ein alternatives Navigationssystem zur Entdeckung populärer oder besonders guter Inhalte in den verschiedenen bereichen des Second Life. Eine besonders für Neulinge eine gute Alternative, Second Life zu entdecken, bei der die empfundenen Schrumpfung durch „Leere“ mittels Verdichtung und thematische Gruppierung umgangen wird. Unklar ist, wer das neue System betreut und Inhalte aus Second Life als interessant / gut / geeignet von anderen abgrenzt bzw. andere ausgrenzt. Außerdem nicht klar, wie die „Reise“ sich gestaltet, ob es überhaupt Reisezeit gibt, und ob man diese alleine oder zusammen mit anderen Avataren verbringt.

   
3. Preis: ICONICITY
von Michael Potts (GB)

In anderer Form als Life at the Top schlägt dieses Projekt ebenfalls ein ergänzendes Navigations-Element in Second Life vor: eine Art dreidimensionales „Facebook“. Als einziger Wettbewerbsbeitrag werden soziale Aktivitäten und Vorlieben von Avataren direkt in einer Stadt-Metapher abgebildet, so dass die Stadt in ihrer Form (durch die Höhe und das Aussehen ihrer pulsierenden „Bauwerke“) die sozialen Netze innerhalb ihrer Bevölkerung verräumlicht, dabei die innere Verfasstheit der Bewohner abbildet – und ihnen so als Rückmeldung eine Bindung gibt an den Ort und an seine Bewohner, über die Leere der Welt hinweg. Damit schlägt „Iconicity“ eine Brücke zu erfolgreichen Angeboten des Web 2.0, das im 2D-Web Menschen und Gruppen miteinander verbindet. Es ist jedoch nicht klar, wie der Link zwischen Avataren und Stadt vonstatten gehen soll, ob es eine „zentrale Intelligenz“ geben muss, die diese Organisation betreut – und wie diese legitimiert ist. Unklar bleibt ebenso, welche Verknüpfung es zwischen „Iconcity“ und dem sonstigen Second Life gibt. Nicht ganz nachvollziehbar bleiben außerdem weitere Elemente der klassischen Stadtmetapher wie etwa der Ringstraße.


Lobende Erwähnung: SECONTROPA
von Martin Conrads und Anna Mandoki (D)

„Secontropa“ imaginiert eine  Zwangsumsiedlung aller Bewohner von Second Life auf ein „Venedig-Sim“, eine drastische räumliche Reduktion auf die kleinste denkbare Einheit: Second Life schrumpft auf eine einzige besiedelte Parzelle. Dabei nehmen die Autoren Bezug auf Konzepte des Architekten  Herman Sörgel, der in den 30er Jahren eine Trockenlegung des  Mittelmeeres zur Verschmelzung von Europa und Afrika plante. Nicht zuletzt der immanente Vergleich von Venedig – einer stark geschrumpften Stadt, die inzwischen zu einer Art Themenpark mutiert ist –  mit  den narrativen, an Themenparks erinnernden Architekturen von Second Life überzeugte die Jury als ironischen Kommentar zu der im Wettbewerb gestellten Aufgabe. Zugleich ignoriert das Projekt natürlich grundlegende Parameter von Second Life.


Lobende Erwähnung: VILLE SPATIALE
von Stephan Lorenz mit Bezug auf Yona Friedmann (D)

Der Beitrag „Ville Spatial“ von Stephan Lorenz realisiert Yona Friedmans gleichnamige urbane Utopie in Second Life. Entsprechend der Idee von Friedmann können andere Second Life User sich eigene Architekturen in der Raumstruktur errichten. Anstelle einer unendlichen Anhäufung individueller Parzellen – die Radikalisierung des Vorstadtprinzips – tritt eine kollektive Raumstruktur mit gemeinwirtschaftlichen Prinzipien. Damit ist eine für die virtuelle wie physische Welt gleichermaßen relevante Frage angesprochen: Wer besitzt den Raum? Kontrollieren die Bodeneigentümer das räumliche Geschehen? Oder treten anstelle der Eigentümerkontrolle andere Formen der Regulierung und Aneignung? Etwas undeutlich wird der Bezug der Arbeit zum Thema Schrumpfung (obwohl eigentlich durch die Frage des Eigentums gegeben) vom Autor dargelegt.




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