Halle/Leipzig ///



Kaum 40 Kilometer trennen die Städte Halle an der Saale und Leipzig, jene mit 247.000 Einwohnern im Bundesland Sachsen-Anhalt, diese mit 493.000 Einwohnern im Bundesland Sachsen gelegen. Halle war seit dem 19. Jahrhundert vor allem Industriestadt, Leipzig seit je ein Messe- und Handelsplatz. Beide waren Teil einer Region, die fast anderthalb Jahrhunderte durch die Förderung von Braunkohle und riesige Chemiewerke geprägt wurde.

Wiewohl von der ostdeutschen Bevölkerung erwünscht, bedeutete die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland für die Menschen der DDR eine dramatische Transformation. Auf die Privatisierung der "Volkseigenen Betriebe" folgte in vielen Fällen deren Schließung. Es hieß, die Zukunft gehöre der Dienstleistung. Verkannt wurde dabei, dass wertschöpfende unternehmensnahe Dienstleistungen eine industrielle Basis erfordern. Heute erreicht die ostdeutsche Ökonomie nicht einmal das Durchschnittswachstum in der Europäischen Union. In der Region Halle / Leipzig hinterließ der Umbau der Wirtschaft vielmehr eine Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent.




Schrumpfung und Wachstum /// Halle zählt heute fast 70.000, Leipzig fast 100.000 Einwohner weniger als am Ende der DDR. War für diese Entwicklung in der ersten Hälfte der 1990er primär die Wanderung von den neuen in die alten Bundesländer verantwortlich, so in der zweiten Hälfte der 1990er primär die Suburbanisierung. Die steuerliche Abschreibung für Anleger, die Förderung des Eigenheims, die Ansiedlung von Einkaufszentren und die Verlagerung größerer Betriebe führten zu einem Bauboom mit großem Flächenverbrauch auf der grünen Wiese. Paradox, doch real: Schrumpfung und Wachstum liegen gleich nebeneinander; der Entdichtung der Städte entspricht die Verdichtung des Umlands.

Besonders bei der Generation derer, die schon beruflich tätig waren und eine Familie gegründet hatten, kam es in den 1990ern zu deutlichen Umbrüchen der persönlichen Lebenslage. Die unsicheren sozialen Verhältnisse führten dazu, dass in der Region Halle / Leipzig - zu der auch die von chemischer Industrie geprägten Kleinstädte Bitterfeld und Wolfen sowie das barocke Weißenfels zählen - heute nur noch halb so viele Säuglinge geboren werden wie vor dem Ende der DDR.


Halle /// 


Neue Stadt der 60er-Jahre: Halle-Neustadt

Die Salzstadt Halle an der Saale, zu Zeiten der DDR Standort chemischer Industrie und eine von fünfzehn Bezirkshauptstädten, wurde ab Mitte der 1960er durch Halle-Neustadt stark erweitert. In den industriell gefertigten Wohnungen lebten um 1990 etwa 94.000 Menschen, vor allem die Familien von Chemiearbeitern der großen Kombinate des Umlandes.

Nach 1989 versuchte Halle, den Zusammenbruch seiner auch von Maschinen- und Fahrzeugbau geprägten Industrie durch Einrichtungen der Verwaltung, der Wissenschaft und der Kultur wettzumachen. Der in nächster Nähe des Altstadtkerns gelegenene Campus der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde durch Neubauten aufgewertet. Die Zahl der Studenten konnte auf knapp 16.000 erhöht, das heißt beinahe verdoppelt werden. Auch durch den Komplex der Georg-Friedrich-Händel-Konzerthalle und des Mitteldeutschen Rundfunks wurde der Rand der Altstadt belebt.

Dennoch leidet die Stadt unter 20 Prozent Leerstand ihrer Bauten. Anders als erwartet, treffen mangelnde Nutzungen zu ungefähr gleichen Teilen die Alt- wie die Neustadt. In den Siedlungen der 1970er sind mit Hilfe des Programms "Stadtumbau Ost" massive Abrisse geplant.


Leipzig /// 


Gründerzeitbauten in Leipzig warten auf Belebung

Von den großen Städten der DDR lag Ende der 1980er vermutlich keine äußerlich so weitgehend darnieder wie Leipzig. Handelsplatz seit je, konzentrierte die Messestadt ihre Anstrengung einer Belebung stark auf die Innenstadt, sichtbar an der Gentrifikation des Hauptbahnhofs, der Kontorhäuser, der Geschäftsstraßen. Aber obwohl im Lauf der 1990er drei Viertel der Altbauten saniert wurden, konnte die Abwanderung der Bevölkerung nicht aufgehalten werden. Von 320.000 Wohnungen stehen noch heute 55.000 leer, Tendenz zum Glück leicht fallend.

Wie in anderen Großstädten steht auch in Leipzig urbaner Schrumpfung suburbanes Wachstum gegenüber. Allein 34.000 Doppelhäuser wurden an der Peripherie errichtet. Fast die Hälfte der hier siedelnden Betriebe hatte vorher seinen Sitz in der Stadt. Mit dem Flughafen, der Autobahn, dem Güterverkehrszentrum, der Neuen Messe und der neuen Autofabrik der Bayerischen Motoren Werke (BMW) nach Plänen Zaha Hadids entstehen unterdes am Nordrand von Leipzig erstmals Elemente einer globalen Ökonomie.

Trotz enormer Probleme, nicht zuletzt in den östlichen Quartieren und in der Siedlung Grünau, gilt Leipzig als Gewinner der Vereinigung. Die Kommune konnte ihre Rolle als Messestadt wahren; selbst ihre Buchmesse konnte sich gegenüber der Frankfurter Konkurrenz behaupten. 2003 setzte sich Leipzig als deutscher Bewerber für die Olympischen Sommerspiele 2012 durch.


Bitterfeld und Wolfen /// 


Alltag in Wolfen-Nord

Im Norden des Bundeslandes Sachsen-Anhalt gelegen, bilden Bitterfeld und Wolfen heute eine Doppelstadt. Beide Kommunen waren Inbegriff der chemischen Industrie und des Braunkohletagebaus der DDR. Aus dem chemischen Kombinat entstand in den 1990er auf 1.200 Hektar der "Chemie Park Bitterfeld Wolfen" mit etwa 350 zumeist kleineren Unternehmen.

Bestehend aus einem alten Dorfkern, aus gartenstadtähnlichen Arbeitersiedlungen der 1910er bis 1930er sowie einer seit 1958 errichteten Großsiedlung, wurden in Wolfen - wo die DDR ihre Fotofilme produzierte - nach 1990 zahlreiche chemische Betriebe geschlossen. Hatte die Stadt 1989 noch 45.600 Einwohner, waren es 2000 nur noch 27.050. Die Zahlen auf der Website der Kommune sprechen eine klare Sprache. Zum 31. Dezember 2002 wird dort bilanziert: 162 Geborene, 323 Gestorbene, 936 Zugezogene, 2033 Weggezogene. In der Großsiedlung Wolfen-Nord werden zur Zeit Wohnungen, Kindergärten, Schulen abgerissen. Geplant ist der Rückbau ganzer Straßen.


Weißenfels /// 


Abrisshäuser in Weißenfels

Der barocke Charakter der Altstadt rührt aus dem 17. und 18. Jahrhundert, als Weißenfels für kurze Zeit Residenz der Herzöge von Sachsen-Weißenfels war. In der Kleinstadt an der Saale, südwestlich von Halle und Leipzig gelegen, wurden Schuhe und Lebensmittel hergestellt. Ein Wirtschaftsfaktor von Rang ist heute die Bundeswehr; immerhin 1.600 Soldaten leben in der Sachsen-Anhalt-Kaserne.

Die Sanierung der Innenstadt kommt nur langsam voran, weil es für zahlreiche der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude weder genug Geld noch sinnvolle Nutzungen gibt. Die Zahl der Einwohner sank von 36.865 im Jahr 1990 auf 30.781 im Jahr 2002. Der Leerstand beträgt 21 Prozent.


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